Kennen Sie Nina?

Kennen Sie Nina? Wahrscheinlich nicht, denn Nina ist etwas besonderes und nicht jeder kennt etwas besonderes.

Nina ist meine Friseurin. Nina ist zierlich, klein, schlank. Etwa 168cm, würde ich sagen. Vielleicht sogar einige Centimeter weniger, weiss ich leider nicht. Denn normalerweise sitze ich und sie steht. Daher kann ich leider keinen Vergleich anstellen.

Nina gibt einem die Hand, wenn man kommt. Und beim Verlassen macht sie ebendies.

Ich kannte Nina bis gestern gar nicht. Gestern habe ich wieder mal einen unsäglich vor mich hergeschobenen Anruf getan. Ich habe meinen Friseur angerufen, eigentlich nicht “meinen Friseur”, vielmehr meinen Frisiersalon, wie es heutzutage ja wieder heisst. Ich wollte gleich für Gestern einen Termin haben, und da ich mir Namen nicht merken kann, konnte ich nicht sagen, wer von den vielen netten Friseurinnen das letzte Mal meine Haare geschnitten hat.

Ich wollte natürlich auch einen Termin so spät wie möglich am Abend, weil ich noch arbeiten wollte. Also blieb anscheinend nur eine “Nnn” übrig. Zumindest hat sich das für mich am Telefon so angehört:

Ich: “Ich hätte gern einen Termin zum Haareschneiden, am liebsten heute, je später desto besser.”
Andere Seite: “Hmm, dann um 17:30, bei Nnn.”
Ich: “Geht es vielleicht doch noch ein bißchen später?”
Andere Seite: “Nein, mein Herr, nach 17:30 haben wir leider alles ausgebucht”
Ich: “Na gut, dann um 17:30”, und dachte mir noch “bei Nnn”.

Nina hat schwarzes Haar, kurz, geht bis zum Nacken, gelockt. Vielleicht kann man es nicht ganz als schwarz bezeichnen, es sieht ein bisschen gefärbt aus, vielleicht etwas Henna drin, das konnte ich aus dem Blickwinkel eines Menschen, dessen Haare gerade von Nina geschnitten werden, nicht direkt erkennen. Und die 5 Sekunden, in denen ich sie (beim Begrüßen und Verabschieden) face-2-face sah, reichten dafür leider nicht aus, um ein Urteil zu bilden.

Was machen Sie eigentlich, wenn Ihnen die Haare geschnitten werden, d.h. wenn Sie gerade frisiert werden? Sprechen Sie? Denken Sie? Woran denken Sie, wenn Ihnen gerade die Haare geschnitten werden?

Ich für meinen Teil habe große Problem mit Leuten, die beim Friseur ihre Lebensgeschichte erzählen. Oder auch den Klatsch und Tratsch der Umgebung, ihrer Gesellschaft, Verwandschaft, was der Hund wieder alles angestellt hat, was die Katzen so machen, und natürlich der Sohnemann, der sich wieder mal mit irgendwelchen Rockern eingelassen hat, ja diese Jugend von Heute hat ja kein Respekt mehr, und überhaupt ist das Fernsehen Schuld an der Misere der Gesellschaft, von der Bild-Zeitung gar nicht erst zu reden. “Haben Sie gehört, die Verona verklagt die Verona wegen Urheberpersönlichkeitsrecht?…”, “Der Becker soll ja noch ein uneheliches Kind haben…”, “Glauben Sie, dass der Busen der … echt ist?…”, usw. usf.

Nein, Nina macht sowas nicht, sie redet nicht viel. Eigentlich reden in diesem speziellen Frisiersalon die Leute kaum. Sie machen einen recht guten Job (Sorry, aber da ich Nina’s Identität nicht preisgeben will, ohne sie vorher gefragt zu haben, kann ich die Adresse des Frisiersalons hier nicht bekanntgeben). Ich würde sogar soweit gehen zu behaupten, dass sie einen excellenten Job machen.

Nina schneidet meine Haare. Nicht jedoch ohne vorher sich intensiv informiert zu haben, wie ich sie gerne hätte. Nun, genau gestern wusste ich es halt nicht. Ich dachte, eigentlich stehen mir etwas längere Haare auch nicht schlecht. Vielleicht sollte sie einfach nur die Spitzen stutzen und den Rest belassen.

Nicht jedoch Nina. Sie war damit überhaupt nicht einverstanden. Sie meinte eher, dass mir kürzere Haare stehen und dass die “Ohren”, das sind Haarbüschel, die rechts und links von meiner Stirn immer runter fallen, gar nicht stehen. Das heisst, sie hat wörtlich gesagt: “Nein, die Ohren gefallen mir überhaupt nicht”. Wer bin ich denn, dass ich Nina vorschreiben könnte, was ihr zu gefallen hat und was nicht. Wenn sie sagt, es gefällt ihr nicht, dann gefällt es ihr halt nicht und es muss geändert werden. Schliesslich ist sie ja die Nina und nicht ich. Dass es sich dabei um meine Haare handelt, ist nur eine Nebensächlichkeit. Sie schneidet und damit hat sie das Sagen.

Habe ich erzählt, dass Nina anscheinend Zahnspangen hat? Nein? Nun, es sieht so aus, ich konnte es nicht wirklich perfekt erkennen. Das ist ja der Nachteil, wenn man beim Schneiden nicht redet. Sonst könnte man irgendetwas nettes erzählen und sie damit dazu bringen, ein “Aaaah”, oder zumindest ein “Aha!” von sich zu geben. Dann könnte ich es natürlich sehen, aber da sie geflissentlich darauf zu achten scheint, kein “A” zu sagen, oder zumindest nicht so langgezogen, dass man einen Blick auf Ihre Zähne werfen könnte, um die eventuelle vorhandene Zahnspange zu sehen, scheint der Verdacht doch nahe zu sein. Aber ich kann es bisher nicht mit 100%iger Sicherheit sagen, nur vermuten.

Ich habe mich gefragt, warum sie mir die Haare dreimal gewaschen hat. So fettig können meine Haare ja gar nicht gewesen sein, weil ich sie am morgen davor bereits sehr gründlich gewaschen hatte. Ich will damit in keinster Weise mich beschwert haben, denn die Massage, die mit der Haarwäsche verbunden ist, möchte ich um keinen Deut vermissen. Wobei das eigentlich weniger mit Nina zu tun hat. Jedesmal beim Friseur denke ich mir: “Ach, könnten die doch die Haarwäsche in die Länge ziehen. Diese Massage ist einfach wunderbar und erholsam”.

Nun liegt der Verdacht nahe, dass Nina einen sechsten Sinn hat und sich gedacht hat, dass ich so eine Kopfhautmassage liebe. Vielleicht lieben es andere auch und sie hat nur eine gewisse Erfahrung damit. Aber die erste Variante klingt etwas poetischer, daher werde ich so lange daran glauben, bis mir der Gegenteil bewiesen wird. Aber bitte: beeilt Euch damit nicht, ich habe keinen Drang, das Gegenteil bewiesen zu bekommen.

Das ist so das gleiche wie mit Märchen. Die Wissenschaft hat die Märchenwelt zerstört. Naja, natürlich erst später. Auch den Weihnachtsmann gibt es ja bekanntlich gar nicht, erst recht gilt das für den Osterhasen.

Oder auch mit Frauen und Männern. Kennen Sie diesen Fall: Sie (als Mann) gehen mit einem guten Freund (auch ein Mann) und einer guten Freundin (eine Frau) in ein Cafe, Club, Disco, was auch immer. Es wird gerade irgendein Musikstück gespielt. Sie (als Mann) und der gute Freund (auch ein Mann) fangen sofort eine Diskussion an, welches Lied es sein könnte, dies oder jenes, oder war es doch das andere? Das könnten Sie beide (als Männer) beliebig in die Länge ziehen, wenn nicht die gute Freundin (als Frau) zum DJ gehen und einfach fragen würde. Weg! Aus! Hin ist die Magie! Der Zauber der Diskussion! Sie hat einfach gefragt! Was für eine Ernüchterung tritt dann ein?

Aber Nina ist was anderes. Nina gibt es in Fleisch und Blut. Dass sie einen sechsten Sinn hat glaube ich unbenommen, denn wie sonst hätte sie es erraten können, dass ich Kopfhautmassage liebe? Nein, nein, keine Antworten bitte. Das war eine rein rhetorische Frage…

Nina ist zierlich, hatte ich gesagt. Es stimmt, sie ist sehr zierlich. Nun gehen einem so faszinierende Gedanken durch den Kopf, wenn man so zierliche Menschen betrachtet. So z.B. frage ich mich, chauvinistisch wie ich anscheinend bin, wie ein ganzes Kind im Bauch eines so zierlichen Menschen heranwachsen soll. Natürlich weiss ich, dass nicht jede Frau Kinder bekommt… Vielleicht ist sie ja auch lesbisch und die Sache hat sich dann mit hoher Wahrscheinlichkeit erledigt (Ich hoffe inbrünstig, dass ich sie mit diesen Gedanken nicht beleidige, da ich ja demnächst wieder zum Haareschneiden gehe und diesmal mir den Namen garantiert merken kann). Auch weiss ich, dass nicht jede Frau Kinder haben will. Oder auch, dass nicht jede Frau Kinder haben kann. “Aber,” denke ich mir, “wenn sie ein Kind bekommen kann, wenn sie nicht lesbisch ist, wenn sie ein Kind bekommen will, mein Gott, wie kann ein Kind im Bauch eines so zierlichen Menschen heranwachsen?”

Nina trägt schwarz. Tragen alle Friseurinnen bei der Arbeit schwarz? Nein, kann nicht sein, denn dort im Frisiersalon war auch eine Friseurin, die braun trug, oder sowas wie rot-braun. Sie, nicht Nina, die andere Friseurin, ist eine Landsmännin von mir (warum sagt man eigentlich nicht Landsfrau?). Das hatte wahrscheinlich zur Folge, dass gestern zwischendurch auch Türkisch-Pop gespielt wurde. Es ist faszinierend, wie gut man darauf trainiert ist, sowas sofort an den ersten 3-4 Noten zu erkennen. Oder waren es 9-10? Wie dem auch sei, auf jeden Fall konnte ich sofort am Anfang erkennen, dass es sich anscheinend um Türkisch-Pop handelt und musste schmunzeln.

Haben Sie schonmal auf die Musik in Frisiersalons geachtet? Ja doch, in den meisten Frisiersalons wird im Hintergrund Musik gespielt. Man achtet aber selten darauf, da heutzutage ja überall im Hintergrund Musik gespielt wird und man daher konditioniert ist, es zu überhören. Soviel eigentlich zur Qualität der Musik.

In “meinem” Frisiersalon spielen sie verschiedenste Art von Musik. Die Musik fällt nur auf, wenn zwischendurch mal etwas Groove, Rave, oder eben Türkisch-Pop auftaucht. Sonst läuft sie im Hintergrund weiter. Mir ist aber auch etwas Klassik in “meinem” Frisiersalon aufgefallen. Sehr breite Mischung, sehr interessant.

Nina fällt gestern zweimal der Kamm herunter. Beim ersten Mal sogar auf den Boden und sie muss den Kamm waschen gehen. Aber nicht, ohne vorher knallrot anzulaufen. Normalerweise würde hier stehen, dass sie dann richtiggehend süß aussieht. Das stimmt bei ihr aber nicht. Rot steht ihr einfach nicht. Zumindest nicht, wenn sie es im Gesicht trägt. Überhaupt nicht. Und das gefällt mir nicht. Ich muss auch diesbezüglich mal mit ihr reden und sie davon überzeugen, nicht mehr rot zu werden, wenn ihr etwas peinlich ist. Aber vielleicht lasse ich es sogar, denn das könnte ihr noch peinlicher sein und dann bleibt sie ein Leben lang rot und genau das will ich wiederum vermeiden.

Beim zweiten mal entschuldigt sie sich damit, dass es bereits spät ist. Und dass die linke Hand nicht ganz so schnell den Kamm entgegennimmt, wie die rechte Hand es hergibt. Das führte mich dazu, mal den ganzen Vorgang interessiert und konzentriert zu beobachten, ohne dass es ihr auffällt.

Haben Sie schon mal das Zusammenspiel der Friseurhände beobachtet? Faszinierend, einfach nur faszinierend. Ich kann hier leider nur für Rechtshänder sprechen, denn Nina scheint rechtshändig zu sein. Daher weiss ich nicht, wie es genau mit Linkshändern ist, zur Not tauschen Sie im folgenden Text einfach rechts und links gegeneinander aus:

Die rechte Hand hält den Kamm und die Schere. Mit dem Kamm werden die Haare herunter- bzw. hochgekämmt, so dass ein Haarbüschel entsteht. Zum schneiden werden die Haare meistens hoch gekämmt. Dann kommt die linke Hand und hält diesen Haarbüschel. Dabei wechselt der Kamm normalerweise automatisch von der rechten Hand in die linke. Da die linke Hand mit dem mittleren, dem Ringfinger und dem kleinen Finger auf der einen Seite und dem Zeigefinger auf der anderen Seite das Haarbüschel hält, bleibt nur noch die Kuhle zwischen Daumen und Zeigefinger, um den ankommenden Kamm entgegen zu nehmen. Sie sollten das auf jeden Fall mal beobachten. Machen Sie jedoch nicht den gleichen Fehler wie ich ihn anfänglich in diesem Absatz gemacht habe: Sie sehen ja ein Spiegelbild und da ist das Bild eben spiegelverkehrt. Das heisst, was im Spiegel als rechte Hand erscheint ist in Wirklichkeit die linke Hand und umgekehrt!

So, genau, die linke Hand nimmt normalerweise den Kamm zwischen Daumen und Zeigefinger entgegen. Dabei hält die linke Hand aber weiterhin das Haarbüschel zwischen Zeigefinger und den anderen drei Fingern. Die anderen drei Finger drücken auf das Haarbüschel von oben und damit kann die Friseurin/der Friseur einen Bogen mit den Haaren bilden, um die Haarlänge zu bestimmen.

Bitte beachten Sie, dass ich ein Laie bin was die Frisierkunst anbelangt, ich habe nur wiedergegeben, was ich beobachte habe. Daher möchte alle Friseure der Welt um Entschuldigung bitten, wenn ich den Sachverhalt als sehr vereinfacht darstelle.

Nina hat sehr zierliche Arme. Die Arme, oder vielmehr den linken Arm, konnte ich kurz sehen. Wie gesagt, ich sitze, sie steht. Und da sieht man nicht viel. Leider waren auf dem Arm schon Teile von meinen Haaren, eher Ex-Haaren, denn es waren bereits abgeschnittene Teile und damit war der Blick zwar da, aber betrübt durch eben meine sehr schwarzen Haare. Ich konnte wenigstens erkennen, dass sie sehr zierliche Arme hat, und wahrscheinlich auch Hände.

Hände sagen sehr viel über Menschen aus. Mehr als viele Menschen eigentlich bereit sind, von sich zu erzählen. So z.B. kann man an den Händen recht gut erkennen, wie alt ein Mensch ungefähr ist, wenn das Gesicht es nicht hergibt.

Haben Sie schon mal in der U-Bahn, S-Bahn, oder anderen Kutschen des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) Menschen beobachtet? Ich liebe es geradezu, muss es aber stets vorsichtig machen, da die Menschen es nicht zu mögen scheinen, wenn man sie beobachtet. Den meisten gehen sofort solche Gedanken durch den Kopf wie: “Was will der denn?”, oder “Mein Gott, habe ich was falsches gemacht?”, oder “Hoffentlich ist er kein Kontrolleur, ich fahre ja schwarz, mein Gott, bitte, bitte, mach’, dass er kein Kontrolleur ist”, oder “Habe ich was falsches an? Sind meine Sachen nicht sauber genug?”… Das merken die Menschen gar nicht, aber das steht ihnen ins Gesicht geschrieben, wenn sie sehen, dass man sie beobachtet.

Daher, bitte, sehr vorsichtig vorgehen, wenn Sie jetzt anfangen, Mitmenschen zu beobachten. Manche gehen sogar soweit, direkt auf Sie zuzukommen und zu fragen: “Hey, was willste, warum guckste so? Gibt’s was zu sehen, oder was?”, und wieder andere greifen statt zu Worten lieber zu Taten und man wundert sich -wenn man 1 Stunde später aufwacht- warum man in einem weissen Raum mit weiss gekleideten Herren und Damen liegt… Nicht dass mir sowas passiert wäre, schliesslich kann ich immer schneller rennen als viele andere, wenn es um meine Gesundheit geht. Wie heisst ein türkisches Sprichwort doch? “9/10 des Mutes ist Wegrennen, 1/10 sich überhaupt nicht sehen lassen”

Zurück zum Thema, ich schweife ab, tut mir unsagbar leid, da Nina das wirklich nicht verdient, dass ich so sehr abschweife, wenn doch die Überschrift allein kundtut, dass es hier um Nina geht.

Also, es gibt Menschen, insbesondere in diesen ÖPNV-Mitteln, die alles tun, damit sie im Gesicht jünger aussehen, sogar Facelifting gehört zu den Waffen, die dabei eingesetzt werden. Jugend um jeden Preis. Facelifting, Busen straffen, Haare frisieren, Nägel lackieren, Lippen aufspritzen (erinnert mich an den Film The First Wifes Club) und was es noch alles für geheime Hexenkünste gibt, um jung zu wirken. Aber sie vergessen die Hände!

Hände kann man anscheinend nicht liften oder straffen. Und genau daran kann man erkennen, wie alt sie sind und stellt bewundernd fest, wie weit wir mit unserer Wissenschaft schon vorangekommen sind, wenn man in der Lage ist, eine 60jährige als eine 30jährige aussehen zu lassen. Dass ich mich hier hauptsächlich auf Frauen konzentriere liegt in der Natur der Sache. Ich habe einfach bisher fast nur Frauen gesehen, die sich liften gelassen haben. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, denn ich weiss aus eigener Erfahrung, dass Männer eigentlich eitler sind als Frauen (ich bin schliesslich einer).

Nina hat einen runden Kopf. Mit ihren gelockten Haaren, die wie ein gelockter Pilz aussehen und ihrem runden Gesicht sieht sie eigentlich recht jung aus. Sehr jung sogar, ich würde sie auf 22-25 schätzen. Höchstens, vielleicht sogar jünger. Hat sie Sommersprossen? Weiss ich nicht, würde ich aber nicht unbedingt verneinen. Vielleicht ganz wenige, aber nicht so, dass es auffällt.

Nina scheint eigentlich sehr gesellig zu sein. Wahrscheinlich würden wir uns gut unterhalten können, wenn ich es wollte, aber wie gesagt, ich mag das nicht so sehr, und daher kann ich nur Vermutungen über ihre Geselligkeit stellen. Aber als mein Nachbar, der ebenfalls gerade frisiert wurde, anscheinend irgendetwas gesagt hat, was man als lustig bezeichnen kann, fing sie an, sich mit ihm zu unterhalten. Kurz zwar, aber trotzdem konnte ich in diesen 30-40 Sekunden den Eindruck gewinnen, dass sie recht gesellig ist.

Ich habe vergessen zu erwähnen, dass ich direkt aus dem Büro in den Frisiersalon gegangen bin und somit Mantel und Jacke an- bzw. meine Tasche dabeihatte. Nina hatte keine Probleme damit, nicht im Geringsten. Ich fragte mich, ob ich an ihrer Stelle Probleme damit gehabt hätte. Nachdem ich diese Frage getrost verneinen konnte, habe ich mir keine Gedanken mehr darüber gemacht. Aber sie hat sofort zu zwei Bügeln gegriffen, damit ich den Mantel an einem und die Jacke am anderen Bügel aufhängen konnte, mit der Begründung, “dass ansonsten die Jacke zerknittern würde”. Ich habe ihr nicht gesagt, dass die Jacke, eigentlich eher ein Jackett, nicht zerknittert, weil sie, die Jacke, nicht Nina, aus einem Material ist, dass nicht so schnell zerknittert, da ich dachte, dass es sie, diesmal Nina, nicht die Jacke, kränken könnte, bzw. sogar beleidigen, weil sie sich ja soviel Mühe mit den beiden Bügeln gemacht hat. Ich meine das hier nicht ironisch, denn viele Menschen denken einfach nicht an solche Details und ich bin nun mal ein Detailliebhaber und bewundere es, wenn ein anderer Mensch mal an Details denkt.

Nina ist freundlich. Habe ich das schon gesagt? Wahrscheinlich nicht, aber sie ist sehr freundlich und zuvorkommend. Nicht nur, dass sie mir bei der Begrüßung die Hand gab, nein auch zum Schluss, bei der Verabschiedung. Und sie ist immer sehr zurückhaltend beim Schneiden.

Hat diese Nina denn nicht einen einzigen Fehler? Ja doch, sie hat. Sie hat vergessen, meine Stirn mit einem Pinsel sauberzumachen, ich meine richtig sauber. Nach dem Schneiden. Das musste ich selber machen. Sie hat mir nur gesagt, dass ich noch eine Kleiderbürste nehmen könnte. Erst hatte ich verstanden, dass sie damit andeuten will, dass ich mich mit einer Kleiderbürste reinigen soll, aber sie meinte natürlich meine Hose und meinen Rollkragenpullover.

Waren Sie eigentlich schon mal mit einem Rollkragenpullover beim Friseur? Machen Sie es nie, sage ich Ihnen. Es ist grausam. Erstens sieht es grässlich aus, weil man den Rollkragen runterrollen muss und dann sieht man aus wie die Konquistadores mit ihren Halskrausen und zweitens kratzt es danach höllisch, weil sich anscheinend im Rollkragenpullover mehr Haare (Ex-Haare) ansammeln als in einem normalen Pullover. Das scheint so eine art Naturgesetz zu sein. Habe ich aber auch erst gestern erfahren, vorher war mir dieses Naturgesetz unbekannt. Aber was hat bereits Konfuzius gesagt:

Es gibt drei Wege zu lernen:

  1. Durch Nachdenken, das ist der schwierigste.
  2. Durch Nachmachen, das ist der einfachste.
  3. Durch Erfahrungen, das ist der bitterste.

Ich habe durch Erfahrung gelernt…Nina hat mir die Haare geschnitten. Aber das wusste ich gar nicht, ich wusste ja nur, dass es sich um “Nnn” handelt.

Natürlich war die Dienstleistung nicht umsonst. Ich muss, wie wahrscheinlich nahezu jeder Normalsterbliche, für die Dienstleistung des Haareschneidens bezahlen. Der Gang zur Kasse wurde zur Qual, denn überall juckte und kratzte es. Ich frage mich, warum man bei Friseuren nach dem Haareschneiden nicht gleich duschen kann, denn dann könnte man ja auch gleich mit einem neuen Hemd kommen und sich auch umziehen, so dass es nicht mehr kratzt.

Aber das hätte mir ja gestern auch nicht geholfen, da ich ja direkt vom Büro zum Friseur gegangen bin. Und da ich am frühen Morgen nichts von meinem eventuellen, abendlichen Friseurbesuch erahnen konnte, hätte ich auch kein frisches Hemd mitnehmen können, zumal es wirklich fraglich ist, denn selbst wenn ich gewusst hätte, hätte ich wahrscheinlich angenommen, dass ich es doch erst nach Hause schaffen kann und deshalb kein frisches Hemd mitgenommen; ausserdem haben Friseursalons eben keine Duschen für Kunden. Vielleicht haben sie ja Duschen für die eigenen Mitarbeiter, vielleicht kann man ja als Kunde diese Duschen auch nutzen, wenn man nur freundlich genug nachfragt. Haben Sie es schon mal probiert?

“Das macht dann fünfundachtzig Mark”, sagte der freundliche Herr an der Kasse. “Hoppla” dachte ich. “Die scheinen ja die Preise erhöht zu haben. Oder ist es der Nina-Zuschlag?”. Natürlich wusste ich zu dem Zeitpunkt ja immer noch nicht, dass sie Nina heisst. Ich habe also, wenn ich die Wahrheit weder verbiegen noch brechen will, oder -um es mit unseren Politikern zu sagen- wenn ich nicht die Unwahrheit sagen will, also gedacht: “… Oder ist es der Nnn-Zuschlag?”.

“Fünfundneunzig” sagte ich, um das Gebot etwas zu erhöhen, denn ich war ja mit dem Service sehr zufrieden und dafür, dass sie mir meine Haare dreimal gewaschen und entsprechend so oft massiert hat, wollte ich ihr einen Gefallen tun, da mir bekannt ist, dass das Trinkgeld (kann mir eigentlich einer sagen, warum es ausgerechnet Trinkgeld heisst?) direkt an die entsprechende Friseurin oder den entsprechenden Friseur transferiert wird. “Oh, danke!” kam herausgeschossen aus dem Kassierer, was mich für eine Sekunde an der Theorie des direkten Trinkgeldtransfers an den zuständig gewesenen Friseur oder die Friseurin zweifeln liess, bis der Kassierer die Differenz aus der Kasse nahm und in einen, ja ich möchte fast sagen “Topf” tat, auf dem “Nnn” zu stehen schien.

Nachdem ich meine Fünfmarkmünze, das Restgeld auf den Hundertmarkschein, den ich dem Kassierer in die Hand gedrückt hatte, erhielt und einsteckte, habe ich mich doch noch getraut, obgleich hier “getraut” so klingt, als ob schüchtern wäre, eine Frage zu stellen, da Nina bereits weit weg war und den traurigen Rest, die Büschel Ex-Imdat-Haare, zusammenfegte:

“Sagen Sie, wie heisst die nette junge Dame eigentlich, die mir die Haare geschnitten hat?”

“Nina!” sagte der Kassierer und schrieb es auch auf eine Visitenkarte des Salons, damit ich es ja nicht mehr vergesse.

Kennen Sie jetzt Nina?