Der Spinnt, der Westen… (Achtung: Polemik!)

Günter Walraff möchte Satanische Verse in der Moschee vorlesen (FAZ, Süddeutsche, SPON), ausgerechnet Günter Walraff. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass der Westen gerade spinnt…

… dass wir alle gerade spinnen, wenn es um den Westen und Islam geht – wenn es um den Umgang mit dem Islam geht.

Wir können im Westen nicht zwischen Islam, Terrorrismus, Mord und Idiotie unterscheiden. Wir versuchen immer wieder, selbst die gemäßigten Muslime zu provozieren, die irgendwann, selbst wenn sie nicht im entferntesten gläubig sind, sich selbst angegriffen fühlen.

Wer mich kennt, weiss, dass ich in keinster Weise religiös bin. Ich habe mich intensiv, soweit bisher möglich, mit den monotheistischen Religionen beschäftigt, habe die Bibel, den Koran und die Thora gelesen – mehr als einmal. Habe mich mit der Historie, der Entstehung und Entwicklung dieser drei Krisenreligionen beschäftigt. Aber gläubig? Nicht im entferntesten.

Nur… auch ich bin in der islamischen Kultur (Türkei) erzogen worden – zumindest die ersten elf Jahre meines Lebens. Und diese prägen in gewisser Hinsicht. Ich zähle mich nicht zu den Religiösen, aber zu dieser durch Islam geprägten Gesellschaft zugehörig.

Wenn ich dann Aussagen wie die von Wallraff lese, dann frage ich mich, ob die Leute jetzt “… wirklich alle einen Rad abhaben…” oder ob Wallraff Aufmerksamkeit braucht.

Wir wissen alle, dass dies ein Affront ist – genauso aber der Rittersschlag von Salman Rushdie. Es ist ein Affront – in gewisser Hinsicht. Beim Ritterschlag ist es egal, da können auch die religiösen (wohlgemerkt nicht die Fanatiker) sich damit “trösten”, dass es eine innere Angelegenheit des Vereinten Königreichs ist und die Queen selbstverständlich jeden, den sie will (so es den britischen Regeln dazu entspricht) zu Ritter schlagen darf und kann.

Aber eine Lesung aus “Satanische Verse” in einer Moschee?? Die Süddeutsche schreibt dazu treffend:

Während also die Muslime noch überlegen, ob sie ihre Demokratie-Tauglichkeit mit der Lesung eines Textes beweisen, den selbst Nicht-Radikale als Affront auffassen, seien deshalb an dieser Stelle einige Vorschläge nachgereicht: Der Vatikan könnte seine Nächstenliebe durch einen ökumenischen Schwulengottesdienst im Petersdom beweisen; Synagogen sollten sich samstags endlich der Vorführung von Mel Gibsons umstrittenem Jesus-Film “Passion” öffnen; und in Hindu-Tempeln könnte eine zünftige Steak-Party einen echten Durchbruch bedeuten. Nur Mut.

Warum eigentlich nicht? Das wäre ein Affront gegenüber den Juden? … den Christen? Hmmm… hmmm… und nochmals hmmm…

Irgendwie finde ich natürlich die Krönung dann die Aussage von Ralph Giordano:

Es gibt ja die Taquyya, die im Islam erlaubte Verstellung und Täuschung bei der Auseinandersetzung mit Ungläubigen. […] Egal, wie die Antwort ausfällt: Ehrlich wird sie nicht sein. Allenfalls, wenn die Lesung stattfinden sollte, was ich nicht glaube, ist sie ein Alibi, reine Taktik.

Letztendlich ist es eh egal, was die Muslime machen – ob sie sich anpassen oder nicht, ob sie verfassungskonform leben oder nicht – denn, so Herr Giordano, “… das ist eh alles nur Alibi, reine Taktik“, denn sie verstellen sich. Also, Herr Giordano, dann sollen sie doch weiterbomben, warum auch nicht, oder? … sind ja eh alles nur sich verstellende Bomber, Terroristen, Attentäter – egal wie friedlich sie sich geben!

Ja Herr Giordano, Sie wissen es natürlich besser, viel besser und können es richtig gut erläutern (Nein und dreimal nein!). Manchmal finde ich Ihre Argumentationsketten gar nicht mal so schlecht, ganz im Gegenteil. Ich habe nur Probleme mit Ihren Schlussfolgerungen, Herr Giordano, und manchmal ist es besser, man sagt gar nichts, man hält einfach den Mund (um Jacques Chirac zu zitieren, den ich auch nicht mag) als dass man diskriminierende Schlussfolgerungen zieht. Womit ich beispielsweise grosse Probleme habe, sind Passagen wie:

Ich will sagen dürfen, dass ich auf deutschen Straßen weder Burka noch Tschador begegnen will, so wenig wie Muezzin-Rufe von haushohen Minaretten hören.

Es hindert Sie niemand daran, zu sagen, was sie denken und wollen, so lange es im Rahmen der Gesetze liegt. Aber warum sollte ein Muezzin nicht genauso zum Gebet rufen können wie das Kirchengeläut? Warum wollen Sie die Minderheit der Muslime, zu deren Religion es gehört, zum Gebet zu rufen, unterdrücken? Sie begehen die gleichen Fehler, wie jeder andere Radikale, wenn Sie die Rechte der anderen einschränken. Auch Laizismus kann zum Fanatismus werden – wie wir es gerade in der Türkei teilweise erleben. Auch Laizismus kann zu einer Religion werden. In Ihrem Kampf, lieber Herr Giordano (und alle anderen Möchtegern-Experten und -Intellektuen da draussen), ja, in Ihrem Kampf werden Sie alle genauso radikal, genauso fanatisch und übersehen die feine Linie zwischen liberal und radikal, liberal und fanatisch! Alles kann zu einer fanatisch verfolgten Religion werden, wenn man sie fanatisch genug verteidigt – selbst Frieden!

Glauben Sie, dass es einfach für mich als liberalen Menschen ist, eine eindeutige Stellung zum Kopftuchtragen zu finden? Liberal heisst, dass jeder Mensch das Recht zur vollständigen Persönlichkeitsentfaltung hat. Ich besuche mit Ihnen gerne mal meine Tante in der Türkei in einem kleinen Dorf und sie soll Ihnen mal erklären, warum sie ein Kopftuch trägt, warum sie es von sich aus macht, warum sie es nicht aus radikal-islamischen Gründen macht und warum sie Fanatiker für dumm und unwissend hält. Vielleicht fangen Sie dann an zu differenzieren.

Aber genug, es geht mir nicht um Giordano, es geht mir um die schrillen Töne, die gerade insbesondere in Europa gegen Muslime angeschlagen werden.

Schrille Töne, seien sie von Giordano, Kelek, oder von unserem Dauer-Nörgler Henryk M. Broder tragen weniger dazu bei, den Graben zu überbrücken als vielmehr, diesen noch weiter zu machen, noch grösser, noch unüberbrückbarer. Wir sind, liebe Leut’, auf dem besten Weg in einen echten Krieg – einen Krieg zwischen Islam und der westlichen Welt.

Gemässigtere Töne, vielleicht von weniger prominenten Möchtegern-Kennern, von Tante Emine und Onkel Osman von der Strasse wären sinnvoller. Denn diese sind Vertreter, Repräsentation, nicht Kelek, nicht Giordano, nicht Hakki Keskin, einfach mal Tante Emma und Onkel Otto von der Strasse… Wie wäre es damit?

Ich, auf jeden Fall, fühle mich weder von der türkischen Regierung, noch von Kelek, noch von Giordano, noch von Ditibi, noch von Keskin, noch von anderen solchen Möchtegern-Experten vertreten. Ich lebe seit 28 Jahren hier, bin glücklich und stolz, einiges erreicht zu haben, froh darüber, dass ich bisher keine echte Diskriminierung erlebt habe, eine Entwicklungschance wie jeder gebürtige Deutsche bekam und mich hier zu hause fühle — aber je schriller die Töne werden, desto fremder fühle ich mich in diesem Land wieder… Danke Herr Giordano, Frau Kelek, Herr Broder und Konsorten!

Links:
– Wallraf & Co: FAZ, Süddeutsche, SPON
– Giordano: Nein und dreimal nein!, Ich bin doch kein Türkenschreck ([…] schleichende Islamisierung in Deutschland […])
– Kelek: Das Minarett ist ein Herrschaftssymbol
– Interviews: Wir haben wahrlich nichts zu feiern
– Andere: Die zwei Welten von Köln