Denke ich an Deutschland in der Nacht… [Update]

Der Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen ist in der ersten Lesung am 6. Mai 2009 durch den Bundestag gegangen. Etwas derart populistisches, hirnloses, ineffektives und am Problem vorbei geplantes Gesetz habe ich mein Lebtag noch nicht gesehen in Deutschland. Statt Kinderpornographie im Internet (das es sicherlich gibt) zu bekämpfen, sorgt Frau von der Leyen (auch genannt “Zensursula”) dafür, dass wir alle wegschauen – Volk wie auch dessen Vertreter.

Um es noch mal kurz zusammen zu fassen: Frau MdB Ursula von der Leyen, Mutter von sieben Kindern, möchte eigentlich Kinderpornographie im Internet bekämpfen.

Dazu greift sie zum Mittel der Zugangssperre, die alle Provider mit mehr als 10.000 Kunden mindestens auf der DNS-Ebene einrichten müssen.

Das ganze funktioniert so: Das Bundeskriminalamt (BKA) bekommt die oberste Aufsicht und Verantwortung für diesen Prozess. Arbeitstäglich, wie es so schön im Gesetz heisst (s. unten bei den Links), liefert das BKA an die Internetprovider eine Liste

über vollqualifizierte Domainnamen, Internetprotokoll-Adressen und Zieladressen von Telemedienangeboten, die Kinderpornographie nach § 184b des Strafgesetzbuchs enthalten oder deren Zweck darin besteht, auf derartige Telemedienangebote zu verweisen (Sperrliste) (§8a, Abs 1, Satz 1 des Enwurfs).

Die Provider sind dann verpflichtet,

geeignete und zumutbare technische Maßnahmen zu ergreifen, um den Zugang zu Telemedienangeboten, die in der Sperrliste aufgeführt sind, zu erschweren. Für die Sperrung dürfen vollqualifizierte Domainnamen, Internetprotokoll-Adressen und Zieladressen von Telemedienangeboten verwendet werden. Die Sperrung erfolgt mindestens auf der Ebene der vollqualifizierten Domainnamen, deren Auflösung in die zugehörigen Internetprotokoll-Adressen unterbleibt. (§8a, Abs2, Satz 1 + 2).

Das bedeutet im Einzelnen und Spezifischen, dass die Provider die DNS-Anfragen (also die Auflösung von Domain-Names wie “www.spiegel.de”) statt auf die originäre IP-Adresse (im Falle www.spiegel.de bspw 195.71.11.67) auf eine von den Providern selbst betriebene Website umzuleiten:

Die Diensteanbieter leiten Nutzeranfragen, durch die in der Sperrliste aufgeführte Telemedienangebote abgerufen werden sollen, auf ein von ihnen betriebenes Telemedienangebot (Stoppmeldung) um, das die Nutzer über die Gründe der Sperrung sowie eine Kontaktmöglichkeit zum Bundeskriminalamt informiert. Die Ausgestaltung bestimmt das Bundeskriminalamt. (§8a, Abs 4).

Ok, bis hierher klingt es für alle Beteiligten und Betroffenen noch “ok” und “… irgendwie akzeptabel.”

Schwierig wird es jedoch, wenn man sich folgende Fragen stellt:

1) Wer beurteilt, welche Adressen auf die Liste kommen?

2) Wer kontrolliert, ob die Adressen wirklich echte Kinderpornographie-Inhalte beinhalten?

3) Werden die Zugriffe protokolliert und wer hat Zugriff auf die Daten?

4) Warum eigentlich eine Sperrliste? Kann man die Websites nicht einfach schliessen lassen?

5) Wie wirksam sind solche Sperrlisten?

6) Wie geheim sind solche Sperrlisten?

Anworten

1: Das BKA ist verantwortlich für die Erstellung der Listen. Nur das BKA und die Provider wissen, was auf den Listen ist. Die Listen dürfen von niemanden eingesehen werden und “Die Diensteanbieter [Provider, Red.] haben die Sperrliste durch geeignete Maßnahmen gegen Kenntnisnahme durch Dritte, die an der Umsetzung der Sperrung nicht beteiligt sind, zu sichern.” (§8a, Abs3)  

Dadurch gibt es keine Kontrolle und nein, auch keine richterliche Kontrolle darüber, welche Einträge auf der Liste landen. Das BKA ist hierbei Polizei (findet die Website), Richter (beurteilt, dass die Website Kinderpornographie enthält) und Henker (packt es auf die Sperrliste) gleichzeitig. Dass dies die Aushöhlung der Rechtstaatlichkeit in Deutschland darstellt, scheint ausser der Opposition keinen im Bundestag wirklich zu interessieren.

2: Das BKA – schliesslich ist es eben Polizei, Richter und Henker gleichzeitig. Die Tatsache, dass auf anderen, vergleichbaren Listen im Ausland auch Websites wie WikiLeaks.org, Websites mit homosexuellem oder teilweise auch politisch vielleicht extremen, aber nicht illegalem Inhalt vertreten waren, macht die Fragestellung, wer denn die Kontrolleure kontrolliert noch brisanter.

3: Ja, die Zugriffe sollen in Echtzeit protokolliert und auf Wunsch dem BKA zur Verfügung gestellt werden.

4: Ja, man kann die Websites sperren lassen. Vor diesem Hintergrund machte jüngst die Kinderschutzorganisation Carechild ein aufschlussreiches Experiment. Sie verwendete dazu 20 Adressen aus der im Netz aufgetauchten dänischen Sperrliste. 17 der Seiten waren in den USA gehostet, jeweils eine in den Niederlanden, Südkorea und England. Carechild schrieb an die Abuse-Mail-Adressen der Hostingprovider und bat um Entfernung der Inhalte. Das Ergebnis: acht US-amerikanische Provider haben die Domains innerhalb der ersten drei Stunden nach Versand der Mitteilung abgeschaltet. Innerhalb eines Tages waren 16 Adressen nicht mehr erreichbar, bei drei Websites teilte der jeweilige Provider laut Carechild glaubhaft mit, dass die Inhalte nach augenscheinlicher Prüfung keine Gesetze verletzen oder der Betreiber für die abgebildeten Personen entsprechende Altersnachweise vorlegen konnte. (Aus einem c’t-Artikel, c’t 9/09). Warum das BKA dann nicht die Websites sperren lässt, statt sie auf eine Block-List zu setzen, ist die grosse, bisher unbeantwortete Frage.

5: Da es sich um DNS-basierte Listen handelt, reicht es aus, im eigenen PC einfach die DNS-Einstellung zu ändern und einen DNS-Server aus dem Ausland zu nehmen oder eines Providers, der keine Sperrlisten umsetzen muss. Anleitungen hierzu gibt es im Netz zuhauf (Bspw bei YouTube). Aber achtung: wenn man so eine Sperre, die zwar nicht funktioniert, einfach umgeht, ist man laut Frau von der Leyen “…schwer pädokriminell …” (s. unten).

6: Die dänische, finnische und australische Sperrliste ist bei WikiLeaks.org zu finden – und die Listen scheinen in der Zwischenzeit die erste Anlaufstelle der Pädophilen im Netz zu sein. Wie man so hört, “… war es [wohl] noch nie so einfach, an die Adressen dieser Websites zu kommen, wie jetzt mit diesen Listen … “

Dann kommen die noch weitaus interessanteren Fragen, die seit Wochen ein Sturm der Entrüstung im Internet ausgelöst haben, die aber die Otto-Normalverbraucher draussen nicht interessieren:

Was ist ein Telemedienangebot…, [dessen] Zweck darin besteht, auf derartige Telemedienangebote [Kinderpornographie-Angebote, die Red.] zu verweisen?

Nach den Kritikern beinhaltet dies alle Websites, die in irgendeiner Form auf ein solches Kinderpornographie-Angebot verlinken. Die Frage ist natürlich, ab wievieltem Grad der Verlinkung der Anbieter einer “normalen” Website nicht mehr auf der Sperrliste landet. Ist es Grad eins, zwei, zehn, zwanzig? Wenn wir davon ausgehen, dass jeder Mensch mit jedem anderen Menschen über sieben Links verbunden ist, stellt sich die Frage, welche Seite im Internet mit welcher anderen Seite ab wievieltem Grad verbunden ist.

Was passiert eigentlich, wenn man aus Versehen auf ein Link im Internet klickt und dann auf so einer Sperrseite landet (Stopp-Schild)?

Laut der Interpretation aller Fachleute wird der Zugriffsversuch natürlich protokolliert und vom BKA als Versuch, auf die Website zuzugreifen, gewertet. Dies führt dazu, dass man als Kinderpornographie-Interessierter eingestuft wird und gemäss §184b Abs 4 StGB sich strafbar macht. Die Interpretation der Fachleute ist, dass man dann erst nachweisen muss, dass dies aus Versehen erfolgt ist, da der Versuch des Zugriffs vorhanden war und damit strafrechtlich relevante Aktion, die von der Polizei von Amts wegen verfolgt werden muss. Das führt im Zweifelsfalle zu Hausdruchsuchungen und Beschlagnahmung der gesamten IT zuhause zur Untersuchung auf kinderpornografische Inhalte.

Was hier insbesondere erfolgt ist eine Beweislastumkehr, d.h. man muss beweisen, dass man unschuldig ist. Auch hier wird der Rechtstaat wieder komplett ausgehebelt.

Noch gefährlicher wird es, wenn man das ganze zu Ende denkt: Stellen Sie sich vor, Sie bekommen eine Spam-Mail, die als solche nicht zu erkennen ist (passiert wohl doch öfter als man denkt) und klicken dort auf einen Link…. und dann landen Sie auf einer dieser Stopp-Seiten… Ich würde Ihnen raten, sofort Ihre Siebensachen zu packen und das Land zu verlassen! Denn in Kürze könnte dann das BKA bei Ihnen an der Haustür klopfen… mit einem Rammbock… Ihre PC-Anlage beschlagnahmen und Sie in Handschellen abführen. Sicher, nach monatelanger Diskussion und Untersuchung stellt man fest, dass Sie unschuldig sind… aber Job weg, Frau weg, Kinder weg, Ruf weg… Nunja, vielleicht wären Sie jetzt sogar ein Terror-Kandidat… vielleicht will man ja damit nur Terroristennachwuchs fördern, damit das BKA nicht arbeitslos wird…

Ich übertreibe? Hmm, vielleicht gibt Ihnen die Aussage unserer Familienministerin im Interview mit radioeins vom 24. April einen Einblick in die Denkmuster unserer Politiker (Zitat ungefähr bei Minute 3):

“Wir wissen, dass bei den vielen Kunden, die es gibt, rund 80 Prozent die ganz normalen User des Internets sind. Und jeder, der jetzt zuhört, kann eigentlich sich selber fragen: Wen kenne ich, wer Sperren im Internet aktiv umgehen kann? Die müssen schon deutlich versierter sein. Das sind die 20 Prozent. Die sind zum Teil schwer Pädokriminelle. Die bewegen sich in ganz anderen Foren. Die sind versierte Internet-Nutzer, natürlich auch geschult im Laufe der Jahre in diesem widerwärtigen Geschäft.”

Das bedeutet, dass Frau von der Leyen 20% der deutschen Internetnutzer (etwa 5-6% aller Deutschen) für schwer pädokriminell hält und damit auch eine Geisteshaltung darlegt, die auch Hausdurchsuchungen mit dem Rammbock ohne weiteres legitimieren würde. Fourth-Reich, ick hör’ dir trippeln…

Das Schlimsste an der Sache finde ich, dass das ganze wahrscheinlich beim Bundesverfassungsgericht landen wird und dort abgeschmettert (hoffe ich). Was ist schlimm daran? Naja, ich habe das Gefühl, dass dieses unser Land eigentlich nur noch vom Bundesverfassungsgericht regiert wird. Alles landet dort. In regelmässigen Abständen muss das BVerfG entscheiden, ob die Legislative wieder Mist gebaut hat oder nicht (meistens: Ja). Eigentlich können wir die Legislative doch auch abschaffen, wenn sie eh nichts zustande bringt und eh immer nur das BVerfG entscheidet…

Ich will hier die ganzen Argumente der Kritiker nicht noch mal selbst wiedergeben, statt dessen liste ich die Links auf und möchte Sie alle auffordern:

Geht zur Website des Bundestags, unterschreibt die Petition, schreibt Briefe und Emails an Eure Abgeordneten mit der Aufforderung, gegen diese Internet-Zensur zu stimmen (sonst stimmt Ihr bei der nächsten Wahl gegen sie) und schlagt dem Bundestag und den Abgeordneten dort das Grundgesetz heftigst um die Ohren, denn:

Wir brauchen in Deutschland nicht nochmals eine GeStaPo, StaSi oder Vergleichbares. Wir sind ein demokratischer Rechtstaat und hier gelten: Unschuldsvermutung, Gewaltenteilung, und “… eine Zensur findet nicht statt” (Art 5 GG).

Hier nun die weiterführenden Links: