Die Aufgaben der neuen Merkel-Regierung

Erst einmal muss man ihr gratulieren. Unabhängig davon, ob man nun ein Anhänger ist oder nicht, hat sie die Wahl mit Abstand und ganz klar gewonnen. Was aber vor ihr liegt, sind grosse Aufgaben – ob es sich dabei um die Veränderung der Gesellschaft, der Politik oder Europa handelt: die Aufgaben sind gigantisch und so sollte auch ihr Erbe sein.

Frau Merkel hat mit Abstand diese von allen Beobachtern im In- und Ausland sehr gespannt beobachtete Wahl gewonnen. Ob man ein Anhänger ist oder nicht: die Wähler haben entschieden, dass sie weitere vier Jahre an der Macht bleiben soll. Aber haben die Wähler auch entschieden, dass die gleiche Politik weiterverfolgt werden soll?

Die neue Bundeskanzlerin steht vor einem grossen Haufen an Aufgaben, die zu lösen eine Herausforderung stellen, wie noch nie zuvor.

Zuvor gilt es jedoch, eine Koalition zu finden, die auch tragbar ist. Vor einiger Zeit (das mag schon zehn Jahre her sein) sprach ich mit einem Freund aus der CDU und fragte, ob es denn in Frage käme, dass die CDU mit den Grünen koaliert. Seine Antwort war relativ einfach und klar: “Weisst Du, Imdat, der Unterschied zwischen den Grünen und der CDU ist gar nicht so gross wie viele Menschen denken. Konservativ heisst nämlich auch, Erhaltung und Schutz der Natur – genauso wie die Grünen. Und die Grünen sind konservativer, als viele annehmen.

Bis heute kann man immer wieder beobachten, dass es wirklich keine grossen Gräben zwischen den Grünen und der Union gibt (ausser vielleicht zwischen den Grünen und der CSU). Die Grünen sind immer weiter in die Mitte gerückt (mal abgesehen von ihrem desaströsen Wahlkampf), sind eine Partei u.A. der Besserverdienenden und der gebildeten Mittelschicht geworden.

Es liegt auf der Hand, dass sie die primären Kandidaten für eine erfolgreiche Koalition für die Union wären. Eine Zusammenarbeit zwischen der Union und SPD verbietet sich (aus der Sicht der SPD) von selbst: denn, wie schon andernorts genannt, die Partner der Union haben regelmässig darunter zu leiden gehabt, wenn die nächsten Wahlen anstanden.

Die SPD braucht noch vier weitere Jahre, um sich zu besinnen, was sie eigentlich für eine Partei sein will: rechts, links, mitte, mitte-links, mitte-rechts, liberal, sozial-demokratisch? Was heisst es für eine Partei wie die SPD eigentlich, sozialdemokratisch zu sein? Die SPD muss erstmal viele dieser Fragen beantworten, bevor sie sich wieder ernsthaft zur Wahl stellt. Vielleicht muss sie sogar die Wunden, die sie sich bei der Abspaltung der WASG (heutige Die LINKE), erstmal gesundschrubben – empfehlenswert wäre es, wenn dieses Schisma wieder aufgehoben werden würde und die SPD und Die LINKE sich wieder vereinen. Dann erst könnte die SPD wirklich wieder als eine Alternative, als die sozialdemokratische Alternative dastehen.

Die FDP ist wahrscheinlich raus – für alle Zeiten. Wahrscheinlich wird sie sich zerfleischen. Daher bleiben voraussichtlich nur die Grünen als die Königsmacher. Für die Grünen wäre es von grossem Vorteil, mit der CDU eine Koalition einzugehen, da sie die einzige Partei sind, die die Auswüchse der Union schleifen kann. Das kann nur gut für Deutschland sein. Und wenn die SPD dann wieder mal weiss, was sie sein will, stehen die Grünen alternativ für die Union und die SPD bei den nächsten Wahlen als Partner zur Verfügung. Also, zurück in die 1970iger mit einem Drei-Parteien-System? Warum nicht? Die Grünen decken viele Positionen der FDP ab, aber mit einem Links-Drall statt mit einer reinen Klientel-Politik.

Mit den Grünen als Partner könnte die Union auch in den nächsten vier Jahren ihr konservatives Profil weiter ausbauen, so dass am Ende, in 2017, eine klare konservative (Union), sozial-demokratische (die wiedervereinte SPD) und eine Mitte-Links-Partei antreten, die, je nach Programm der anderen grossen Partner, sich für die eine oder andere Partei entscheiden kann, um ihr eigenes Programm umzusetzen.

Und was springt für die Grünen raus? Sie könnte in diesen vier Jahren sich weiter in die Mitte bewegen. Eine liberale, umwelt- und gesellschaftsorientierte, vielleicht sogar eine Volkspartei werden und die FDP endgültig aus der deutschen Parteienlandschaft hinauswerfen. Die FDP hat teilweise gute Arbeite geleistet. Aber sie ist verbraucht, hat sich überlebt und wusste zum Schluss nicht mehr, wofür sie überhaupt noch steht. Sie war zu einem Dinosaurier geworden und stirbt jetzt aus. Die Grünen könnten die anstehende Lücke gut füllen. Sie müssen nur etwas mehr liberal werden und weniger eine Zeigefinger-Partei.

Die grossen Aufgaben

Die grossen Aufgaben, die die neue Merkel-Regierung in Angriff nehmen muss, sind schnell aufgezählt:

  • Euro-Krise;
  • Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit Europas;
  • Investition in Infrastruktur in Deutschland (und Europa);
  • Energiewende;
  • Bildung;
  • Freiheit;

 

Euro-Krise / Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit Europas

Obgleich fast fünf Prozent der Wähler der AfD zustimmen, wäre es ein falscher Ansatz, den AfD-Kurs einzuschlagen. Die Vereinigung Europas kann nicht mehr aufgehalten werden – und sollte nicht mehr. Die EU wurde als Garant von Frieden gegründet. Sie hat, mit allen Nachteilen, sehr viel zur Steigerung des Wohlstands in Europa und gerade in Deutschland beigetragen.

Der Euro, so sehr es kritisiert wird, ist ein Meilenstein in der Weltgeschichte. Noch nie hatten so viele verschiedene Staaten eine gemeinsame Währung. Noch nie haben so viele Staaten freiwillig Hoheitsrechte abgeben – im Namen der Wirtschaft, des Wohlstands und des Friedens. Das ist gut so.

Wie es jedoch implementiert wurde und wird ist eine andere Frage: eine Währungsunion ohne eine Wirtschaftsunion ist eine Krücke. Dies muss Merkel zur Chefsache machen und mit den EU-Partnern darauf hin arbeiten, das Problem zu lösen. Die Banken-Union ist eine Sache. Sie muss aber auch klar sagen, dass Euro-Bonds, Vergemeinschaftung von Schulden und gemeinsame Fiskal-Politik die nächsten Schritte sind.

Hier hat sie das Blatt in der Hand: ohne Deutschland können Italien, Spanien, Griechenland, Portugal aber auch teilweise Frankreich und Polen wirtschaftlich nicht mehr wachsen. Sie kann diese Länder an den Tisch bitten und gemeinsam eine Fiskal- und Wirtschaftspolitik für Europa, für die EU anstreben. Sie sollte dazu auch ggf. mit einer Handtasche auf den Tisch hauen.

Deutschland muss in der Euro-Krise und der EU-Gestaltung endlich eine Führungsrolle, die Führungsrolle, die auch seitens Polen verlangt wird, übernehmen. Im Zweifelsfalle muss Grossbritannien aus der EU raus (eine vergleichbare Rolle wie die Schweiz oder Norwegen übernehmen).

Die EU ist die Zukunft – der Euro ist die Zukunft: aber nicht nur zu Lasten der deutschen Steuerzahler  – sondern zu Lasten aller EU-Mitglieder. Eine einmalige Vergemeinschaftung von Staatsschulden ist eine Lösung. Eine andere ist die allgemeine Vergemeinschaftung mit strikten zukünftigen Regeln (Fiskal-Union).

Will die EU in den nächsten 10-20 Jahren wettbewerbsfähig bleiben, kommt sie um eine Art “Vereinigte Staaten von Europa” nicht herum. Merkel kann und muss die Weichen dazu stellen – ohne den deutschen Steuerzahler und Wähler vor immer grössere Lasten zu stellen.

Aber eine rein wirtschaftlich orientierte Gemeinschaft wollen die Menschen auch nicht mehr. Eine immer stärkere Ökonomisierung/Monetarisierung der Gesellschaft wird diese irgendwann zerreissen. Eine wirtschaftlich starke Union muss Hand-in-Hand gehen mit einer sozial gerechteren Union. Und, was fast noch viel wichtiger ist, einer stärker demokratischen Union.

Die Menschen haben überhaupt keinen Bezug zur EU, zum Europa-Parlament, zur EU-Kommission. Die Institute müssen demokratisiert werden. Die Kommission muss von den Wählern gewählt werden (direkt oder indirekt) und die europäische Demokratie muss klarer werden – und noch wichtiger: Rechenschaft ablegen. Die Menschen glauben, dass die Bürokraten in Brüssel sich eh nur die Taschen vollstopfen wollen und auch nur solche Partei-Mitglieder dort hin gesandt werden, die es in ihren eigenen Ländern zu nichts bringen.

Es ist notwendig, dass das EU-Parlament mit hochkarätigen Politikern besetzt wird, die in ihren Wahlbezirken den Wählern Rechenschaft abliefern. Vielleicht wäre es sogar sinnvoll darüber nachzudenken, ob man nicht ein Zwei-Kammer-System a la USA einführt: Parlament + Senat – mit einem Präsidenten. Das sind die EU-Themen, die Merkel angehen muss. Nicht das Klein-Klein, sondern die richtig grossen Themen. Und einer nahezu absoluten Mehrheit im Rücken und einem Partner wie die Grünen kann das auch erfolgreich sein.

Eine gemeinsame Wirtschafts-, Währungs- und Fiskalpolitik mit einer vollständigen Demokratisierung der EU wäre ein Nachlass, dass für lange Zeit als eines der grössten Erfolge verbucht werden könnte. Der Mantel der Geschichte weht um Merkel, wird sie es annehmen?

 

Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit Europas

Was macht Wettbewerbsfähigkeit aus? Ist es Bildung? Infrastruktur?

Europa steht vor einem grossen Umbruch: USA ist wieder am Erstarken, China und die anderen “Emerging Markets” holen massiv auf. Nichts dagegen einzuwenden, ganz im Gegenteil: es ist im Interesse aller, wenn sich die anderen Ländern endlich wirtschaftlich und gesellschaftlich weiterentwickeln.

Aber Europa droht abzusinken – in Bedeutungslosigkeit. Die neue Regierung muss mit den anderen EU-Ländern endlich Rahmenbedingungen erarbeiten, die die Wettbewerbsfähigkeit Europas steigern. Dazu gehört massive Investition in Bildung, in Infrastruktur aber auch die richtigen Rahmenbedingungen.

Statt wie in Deutschland Solarenergie zu fördern, sollte die neue Regierung nur noch Ziele setzen – bspw. “80% erneuerbare Energien bis 2025” – und es dann der Wirtschaft überlassen, wie sie diese Ziele erreicht. Die Regierung und die EU sollten auch klar stellen, was sie unter erneuerbaren Energien versteht: kein Bio-Diesel, aber dafür: Solar-, Wind- und Wasserkraft. Vielleicht noch andere, die von Wissenschaftlern objektiv als erneuerbar definiert werden, deren Nutzung aber keine massiven Nachteile oder Nebenwirkungen erzeugt wie bei “Bio-Diesel”, das aus Mais gewonnen wurde.

Die neue Regierung und die EU sollten in Zukunft der Wirtschaft nicht mehr vorschreiben, was sie genau machen soll, sondern welche Ziele sie erreichen muss.

Dazu gehören auch Massnahmen im Bereich Automobil-Industrie: vorzuschreiben, dass bis 2020 eine Million Elektro-Autos in den Deutschland verkauft werden sollen ist nicht nur dumm sondern auch hinderlich. Vorzuschreiben, dass bis 2020 der Schadstoff-Ausstoss von Kraftfahrzeugen (inkl. LKWs, etc) um mindestens 50% (oder 80%) gesenkt werden sollen, ist eine gänzlich andere Sache. Vielleicht ist die Lösung Elektro-Autos, aber vielleicht Hybrid- oder Wasserstoff-Autos.

Die neue Regierung muss endlich die Finger davon lassen, der Wirtschaft zu erzählen, wie diese die Probleme lösen muss sondern vielmehr einfach Richtlinien geben, welche Ziele erreicht werden müssen – mit jedoch genügend Freiraum, dass die Wirtschaft die bestmögliche Lösung findet.

Dazu gehört auch, und das ist Teil der Wettbewerbsfähigkeit Europas, dass Umweltschutz ziemlich weit oben auf der Agenda stehen muss. Umweltschutz geht uns alle an. Aber nur weil die anderen Staaten oder Regionen nicht mitmachen, heisst es noch lange nicht, dass Deutschland oder die EU das auf die lange Bank schieben.

Umweltschutz, d.h. Öko-Technologien, ist ein gigantischer Zukunftszweig und hier kann Europa eine massive Führungsrolle übernehmen. Ob im Recycling, im Entwickeln von nachhaltigeren Materialien, in allgemeinen Öko-Technologien: das ist ein Wirtschaftszweig, in dem die EU für lange, sehr lange Zeit die Marktführerschaft erhalten kann – wenn sie denn will.

Ein seltener, aber von Anfang an gemeinsamer politischer Punkt der Union und der Grünen war und wird immer sein: der Erhalt der Schöpfung (wie sie es auch jeweils benennen mögen). Hier könnte ein so grosser gemeinsamer Nenner gefunden werden, dass nichts die Koalition zerbrechen kann, wenn dies als der Kern der Zusammenarbeit ausgearbeitet wird. Selbst die CSU wird da nicht widersprechen können, da auch für sie als einer ihrer primären Programmpunkte gilt: Erhalt der Schöpfung (daher haben die Grünen in Bayern auch nie wirklich eine Chance gehabt, die CSU hatte sehr schnell diesen Programmpunkt für sich reklamiert, denn die ländliche Bevölkerung war schon immer stark “umweltbewusst” – davon leben sie ja schliesslich).

 

Investition in die Infrastruktur in Deutschland / Europa / Energiewende

Investition in Infrastruktur bedeutet dabei nicht nur der Strassenbau – viel wichtiger sind das Strom- und Gasnetz, Internet- und Zugschnellverbindungen zwischen den grossen europäischen Städten und Metropolen. Warum nicht ein echtes Schnellbahnnetz von Warschau über Berlin, Frankfurt, Paris, Madrid nach Lissabon? Oder von Kopenhagen über Hamburg, München, Wien nach Rom? Oder, oder? Wenn die EU-Länder sich einig wären, so könnte tatsächlich eine Art TGV für Europa kreuz und quer durch Europa “fliegen” und damit endlich dem Hochgeschwindigkeitszugverkehr einen echten, europäischen Durchbruch bringen. Und vielleicht noch mehr dazu beitragen, Europa zu einen.

Das gesamte Stromnetz in Europa sollte zueinander kompatibel gestaltet werden. Wäre es nicht sinnvoller, Solarstrom in Spanien, Italien, Portugal, und Griechenland zu produzieren und dies über Hochfrequenz-Gleichstrom-Netze nach Norden zu transportieren, statt im sonnenarmen Norden den Solarstrom zu produzieren? Wäre dies nicht eine grosse Investition in ein Wachstumsfeld, insbesondere in den armen Mittelmeerländern? Könnte nicht das dazu führen, dass gerade diese Länder endlich Anschluss an den reichen Norden finden? Die Mittelmeerländer haben diese eine grosse Ressource und könnten endlich, zumindest in Energiefragen, zu Netto-Exporteuren in den Rest der EU werden

Dazu bedarf es aber viel Mut – insbesondere aus deutscher Seite – denn die Investition würden dann nicht mehr primär in Deutschland getätigt, sondern eben in diesen “ärmeren” Ländern. Frankreich müsste gezwungen werden, sein Stromnetz endlich für Strom aus Spanien zu öffnen. Sicher kann man Frankreich mit “mehr Föderalismus” ködern, aber zur Not auch ein bisschen zwingen.

Gleiches gilt für Telekommunikation – der erste Schritt ist getan: die EU-Kommission hat vor, Roaming-Gebühren im Mobilfunknetz abzuschaffen. Irgendwann. Aber wie wäre es mit einem EU-weiten Highspeed-Internet-Gesetz, das die Unternehmen unterstützt, die 50-100Mbps (oder 1Gbps) in die Haushalte bringen? Vielleicht nicht mit Subventionen aber mit Steuer-Krediten auf zukünftige Gewinne?

Das sind die Infrastruktur-Investitionen, die die EU braucht. Nicht noch mehr Strassen, nicht noch mehr grosse Flughäfen, die als Finanzkatastrophen enden (wie in Berlin). Sondern: Hochgeschwindigkeitszüge, Highspeed-Internet und ein gemeinsamer Energie-Markt für Gas und insbesondere Strom.

Die Energiewende, die Teil dieser Infrastruktur-Diskussion ist, kann nicht von Deutschland allein gestemmt werden. Es ist auch sinnlos, wenn Deutschland Energie-Exporteur und -Importeur zugleich ist. Nur durch ein EU-weites Energiewende-Programm kann so was auf Dauer auf- und ausgebaut werden.

Wenn Frankreich auf ihre Atomkraftwerke nicht verzichten will, so soll sie diese behalten. Statt Kohle- und andere Fossilbrennkraftwerke können wir die Gleichlastenergie dann aus Frankreich beziehen. Warum nicht bestehende französische Atomkraftwerke für ganz Europa als Gleichlast-Energie freigeben und ganz EU aber primär auf erneuerbare Energien umstellen?

Es bringt nichts mehr, in Europa in Ländergrenzen zu denken. Die neue Merkel-Regierung sollte ihre Partner in der EU endlich davon überzeugen, dass das Denken nicht mehr an Landesgrenzen aufhören darf.

Bspw könnten alle Rechenzentren nach Norwegen, Finland, Schweden und Island verlegt werden. Insbesondere in Island gibt es genügend erneuerbare Energien – hinzu kommt, dass der Kühlungsbedarf in diesen Ländern signifikant niedriger ist als in Deutschland, Italien, Frankreich oder Spanien (dem Autor ist bekannt, dass Island noch kein EU-Mitglied ist).

Warum nicht alle Rechenzentren dorthin verlegen, wo sie den geringsten Energiebedarf haben und dann mit dem Rest Europas über viele redundante Leitungen verbinden?

EU-weites Denken bedeutet auch, die Vor- und Nachteile eines jeden Standortes genau abzuwägen und dann demgemäss zu entscheiden. Das macht die Wirtschaft schon lange, warum aber die Politik nicht?

Wenn die neue Bundeskanzlerin wirklich ein Vermächtnis hinterlassen möchte, das ihrer Amtsdauer entspricht, so wären das solche grossen Aufgaben – Aufgaben, die die EU vorbereiten für die nächsten 25, 50 oder 100 Jahre!

 

Bildung

Bildung fängt nicht an der Universität an. Sie fängt im Kindergarten an und darf nie aufhören. Dabei geht es nicht um Ausbildung, sondern primär um Bildung per se. Wir müssen wieder dahin zurück, unseren Kindern das Lernen beizubringen und Bildung anzuerziehen, nicht irgendeine von der Wirtschaft für heute geforderte Ausbildung.

Die Wirtschaft sagt: “Wir brauchen mehr Informatiker!” – die Gesellschaft (Politik) reagiert mit einer Informatiker-Offensive. Resultat? In zehn Jahren haben wir die heute geforderten Informatiker, aber in zehn Jahren ist es zu spät. Auf einmal sitzen die Informatiker auf der Strasse…

Wir müssen die Menschen im Kindesalter schon daran gewöhnen, dass das Leben ein andauernder Lernprozess ist – egal, ob es beruflich orientiert, privat – oder auch nur so aus Spass. Lernen darf nie aufhören. Aber das kann nicht durch Zwang durchgeführt werden. Dass muss schon im Kindergartenalter den Kindern “… in die Wiege gelegt …” werden. Das muss zur zweiten Natur, zur zweiten Haut eines jeden Menschen werden.

Ob dieser Mensch dann es dazu nutzt sich künstlerisch zu betätigen, in der Wirtschaft zu arbeiten, in der Politik oder im “Freiwilligen Dienst” ist seine Entscheidung. Aber es kann nicht mehr angehen, dass wir nur noch für die Wirtschaft produzieren und die Menschen aber immer weiter zu “Fachidioten” werden. Auch die Wirtschaft möchte kritischere, selbst denkende und kreative Menschen haben. Die Unternehmen, die “Fachidioten” haben wollen, werden sowieso aussterben. Die Zukunft gehört der Wissensökonomie und nicht der “Arbeiterklasse” – die Arbeiterklasse als solche gibt es schon lange nicht mehr.

Deutschland kann auch wieder ein “Land der Dichter und Denker” (im übertragenen Sinne) werden. Wichtiger ist es vielleicht, dass die ganze EU zum “Land der Dichter und Denker” wird – also einem “Land” der kreativen, inventiven und zukunftsorientierten Menschen.

Unsere heutigen Schulsysteme sind aus der Zeit der Industrialisierung: eine Massenproduktionsanstalt zum Produzieren von Arbeitern, in dem allen Kindern genau die gleichen Inhalte vermittelt werden – unabhängig von ihren Fähigkeiten, Vorlieben und mehr.

Sicher, einiges an Basiswissen (Sprache, Mathe, Lesen/Schreiben, etc) sind notwendig – notwendig für jede Tätigkeit im Leben. Aber braucht ein zukünftiger möglicher Mozart wirklich Chemie, Physik, Biologie? Braucht ein zukünftiger Physik-Nobelpreisträger wirklich Bildende Kunst, Musik? Braucht ein zukünftiger van-Gogh wirklich Mathe in allen Formen? Aber jeder sollte etwas Ethik und Gesellschaftskunde (EU-weites und weltweites) lernen.

Wenn weitere Fächer zur Pflicht werden, so würde ich vorschlagen, dass wir eher weitere Sprachen wie Spanisch, Chinesisch, Hindi, Arabisch aufnehmen. Nicht nur, da (wie viele meinen) solche Leute in der Wirtschaft eher gesucht werden, sondern weil jede weitere Sprache auch eine weitere Denkform mit sich bringt… eine komplett neue Welt des Denkens!

Das gesamte Schulsystem muss auf den Prüfstand gestellt werden – ist das System an sich überhaupt tauglich für das neue Jahrhundert, ja das neue Jahrtausend? Brauchen wir ein gänzlich anderes System?

Das ist keine Aufgabe, die sofort gelöst werden kann – aber das ist etwas, das die neue Regierung in die Wege leiten kann – evtl mit Pilotprojekten, mit Untersuchungen, Analysen und Testfeldern. Wichtig wäre es, unseren Kindern endlich das Lernen beizubringen und sie nach ihren Stärken zu fördern und nicht mit Dingen quälen, die ihnen wirklich (seelische und körperliche) Qualen verursachen.

 

Freiheit

Sicherheit ist das Superrecht” sagte ein CDU-Politiker vor Kurzem. Dem kann man nur dagegen halten:

“Jene, die essentielle Freiheiten abgeben, damit sie ein Stück Sicherheit gewinnen, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit.” (Benjamin Franklin).

Es mag nicht opportun sein, US-Politiker zu zitieren. Aber der Mann ist lange tot und war einer derjenigen, die wirklich in “Freiheitsthemen” dachten. Viele werden die Sklaverei in den USA dem gegen halten, aber das mindert den Wert des Ausspruchs in kleinster Weise.

Die Union (zusammen mit dem Grünen) kann und muss endlich Freiheit als das oberste Gebot, als das Superrecht schlechthin festlegen. Zu den Aufgaben des Staates gehört es, Sicherheit zu gewährleisten. Das besagt aber nicht, dass der Staat, um dieser Aufgabe nachzukommen, den Menschen, die sie eigentlich schützen soll, die Freiheitsrechte nach und nach – alle – wegnimmt.

Es gibt in Deutschland ein Grundgesetz und alle Menschen und auch der Staat sind daran gebunden. Es kann keine Institution in Deutschland (aber auch in der EU) geben, dass über das Grundgesetz (in Deutschland) oder der EU-Verfassung steht.

EU-weit muss endlich eine Zusammenarbeit in Sachen Freiheit und Demokratie stattfinden. Eine Basis hierfür können z.B. tatsächlich das deutsche Datenschutzgesetz sein.

Aber auch Deutschland muss sich daran halten. EU-weit ist die Gewaltenteilung festgeschrieben. EU-weit (ausser GB) gibt es kein Land, in dessen Verfassung die Freiheiten nicht festgeschrieben sind. EU-weit gibt es auch kein Land, in dem die Sicherheit über der Freiheit steht.

Die neue Regierung muss, und hier würde ich primär die Grünen in Verantwortung sehen, Freiheit ganz gross auf ihre Fahnen schreiben. Ein Innenminister a la Otto Schily (und alle seine Nachfolger) darf es in Deutschland nicht mehr geben.

Die primären Aufgaben des Innenministers müssen anders formuliert werden: die Freiheit und die Rechte der Menschen, die im Grundgesetz verankert sind, in Deutschland zu garantieren und dafür zu arbeiten. Nicht für “ein Höchstmass an Sicherheit”.

Es muss auch den Menschen klar gemacht werden, dass Freiheit und Sicherheit die gegenseitigen Antipoden sind; dass die Regierung, um absolute Sicherheit zu gewähren, die Freiheiten absolut einschränken müsste; dass sie aber, andersherum, um absolute Freiheit zu garantieren, keine Sicherheit garantieren kann.

Im Zweifelsfalle muss jedoch die Entscheidung immer zugunsten der Freiheit fallen – niemals zu Lasten.

Sondervorgehen, auf richterlichen Beschluss (der nachvollziehbar ist und dokumentiert wird), sind in jedem demokratischen Land zulässig und müssen so gehandhabt werden. Aber eine Dauerüberwachung der Bevölkerung in der EU muss genauso verhindert werden, wie eine Überwachung der EU-Bevölkerung durch ausländische Geheimdienste (soweit möglich). Wenn jedoch, wie im Falle PRISM, herauskommt, dass sogar unsere Freunde die Kommunikation von EU-Bürgern allgemein überwachen, so muss man mit diesen Freunden Tacheles reden. Dafür ist Freundschaft da: wenn es hart auf hart kommt kann man auch hart miteinander umgehen, ohne dabei die Freundschaft aufs Spiel zu setzen.

Hier muss ein potenzieller Partner, die Grünen, die Union vor sich hertreiben, bis die Union es aufgesogen hat und es für die Union selbstverständlich ist, dass die Freiheit (und auch die Freiheit der Kommunikation) nur auf einen EU-richterlichen Beschluss hin eingeschränkt werden kann. Aber niemals ohne.

Wie wäre es mit einer klaren Regulierung, die besagt, dass jedes Unternehmen, dass EU-Kunden hat, sich absolut strikt an die EU-Datenschutzrichtlinien halten muss und ansonsten Strafen in Millionenhöhe (pro Einzelfall) erlassen werden?

Und wie wäre es mit einer einheitlichen (nach deutschem Modell) Datenschutzgesetz in der EU, welches auch klar regelt, dass Verstösse nur auf EU-richterlichen Beschluss erfolgen dürfen? D.h. auf Beschluss eines Richters, der in einem EU-Land zugelassen ist (vielleicht nicht GB).

 

Nachwort

Gesellschaftlich gibt es sicherlich sehr viel mehr Themen. Wie wäre es bspw mit Friedensmissionen auf der Welt? Oder dem Gleichstellungsgesetz? Oder Arbeitsrecht (Mindestlohn)? Oder, oder, oder…? Oder was ist mit dem EU-Beitritt der Türkei?

Das sind alles sehr wichtige Themen (insbesondere Mindestlohn sollte nicht mal mehr diskutiert werden, sondern nur noch welche Höhe genau), aber die o.g. Themen sind die ganz grossen EU-Themen. Mit diesen Themen und deren Durchsetzung kann Frau Merkel tatsächlich ein Vermächtnis hinterlassen, wie Kanzler Kohl mit der deutschen Einheit. Wie Willy Brandt mit der Ost-Politik. Wie Adenauer mit dem NATO-Beitritt.

Kann sie diese Punkte all angehen und welche kann sie durchsetzen? In der aktuellen kritischen EU-Situation könnte sie sicherlich die meisten EU-Themen einfach durchdrücken – ggf. mit einem “basta!” – innerhalb Deutschlands werden einige Themen, insbesondere Bildung, sehr schwierig sein. Da wird die SPD mauern. Aber auch da fänden sich sicher Zusammenarbeitsmöglichkeiten, denn am Ende geht es um die Zukunft Deutschlands und der EU.

Will, ja kann sie überhaupt mit den Grünen koalieren? Ja, sie will und ja sie kann. Die Grünen sind gar nicht so schlimm, wie sie aussehen. Selbst aus Sicht der CSU wären die Grünen ein guter Koalitionspartner. Insbesondere bei PKW-Maut könnten sich sogar die Grünen mit der CSU gegen die CDU verbünden. Dann gäbe es vielleicht eine PKW-Maut für alle, aber vielleicht liesse sich ja zumindest für in Deutschland PKW-Steuer zahlende Fahrer eine Verrechnungsform finden. Vielleicht liesse sich ja auch die PKW-Maut EU-weit standardisieren.

“Herdprämie”? Wenn es so geändert werden würde, dass bspw Im Falle von Vätern, die zuhause bleiben und das Kind erziehen, irgendwie 25% oder 50% mehr bezahlt wird als bei Frauen, liessen sich vielleicht sogar die Grünen erweichen.

Gleichgeschlechtliche Ehen? Da wird die CSU einfach einen Bogen drum machen und das ganze abhaken. Auch aus ihrer Sicht gilt: “Man braucht alte Kämpfe nicht neu austragen.”

Was könnte Merkel strategisch richtig machen, um eine erfolgreiche Regierung zu führen und gleichzeitig vielleicht die o.g. Ziele zu erreichen? Sie könnte die Grünen und die CSU in Deutschland “regieren lassen” und sich primär um die EU-Fragen kümmern. Vielleicht nimmt sie ein oder zwei Punkte von der CSU und den Grünen mit in ihr EU-Programm.

Vielleicht, wenn sie alles richtig macht, könnte sie sogar die erste Präsidentin Europas werden – mit echter Macht. Wer weiss…